Nadine Röther, 2023
aus: BIKUR - Die Zeitschrift für Bildkünstlerrechte; Heft 9 - 4. Quartal 2023
In meiner Arbeit als Künstlerin beschäftige ich mich mit der Vorstellung, dass Kunst – wie das Leben – als ein ständiger Prozess des Wandels, der Bewegung und Fortschreibung zu begreifen sein könnte. Ich versuche, diesen Gedanken in jeder meiner Arbeiten zum Vorschein zu bringen. Das geschieht natürlich auf einer abstrakten, künstlerischen Ebene. Ich betrachte meine Arbeiten aber auch von vornherein – ganz konzeptionell – als nicht beendet. Dies passt einerseits zu meinem Thema; aber es erleichtert mir andererseits den künstlerischen Prozess, ganz pragmatisch gesehen. Wann ist ein Werk vollendet? Wann ist das Leben vollendet? Wenn ich diese Fragestellung zusammen betrachte, ergibt sich eine aufregende Ausgangsposition für mich als Künstlerin.
Für die Entwicklung dieses Gedankens war meine Zeit als aktive Malerin ganz wichtig. Ich begreife mich ja jetzt als Bildhauerin. Aber die Gewissheit kam beim Zusammentackern der Dachlatten zur Herstellung eines Leinwand-Rahmes. Es hat mich fasziniert mit einer kleinen silbrigen, knickerigen Tacker-Nadel Holzstücke fest zu verbinden – oder sie fragil zu verbinden. Nähte zu erstellen wie bei der Wundversorgung, etwas (wieder-)herzustellen, und gleichzeitig aber auch in der Schwebe zwischen Festigkeit und Fragilität zu belassen, wie ein Sinnbild auf meine eigene Existenz oder die menschliche Existenz ganz allgemein.
Meine Auseinandersetzung mit diesem Thema brachte mich auf den Hasen, dem im Verlauf der Kunsthistorie ganz verschiedene Symboliken zugesprochen worden sind, von Fruchtbarkeit bis Vergänglichkeit bis hin zum Inkarnationssymbol bei Beuys. Meine eher weltliche Betrachtung der Dinge, brachte mich schnell auf den Hasen von Albrecht Dürer. Dennoch konnte mein Hase nur der absolute Gegenentwurf zu Dürers präziser, fast naturalistischer Darstellung sein. Ich tackere meine Figuren aus Fundhölzern, Latten, Splittern, Ästen und Resten. Und somit würde der Hase immer auch ein Nicht-Hase sein können. Oder ein Kampfhase. Ein Boxer, Soldat, Selbstmörder, Mensch.
Ich entdeckte die Arbeit von Georg Herold, dessen Dachlatten-Hase ein Kommentar auf den Dürer-Hasen war – aber zum einen als konzeptionelle Arbeit, als Kommentar entworfen; zum anderen stabil und fest auf dem Boden kauernd.
Beuys Vorstellung des toten Hasen, dem er die Kunst erklärte, faszinierte mich aus zwei Gründen: zum einen das vergebliche Bemühen, Kunst in Worten ausdrücken zu wollen; zum anderen die Frage nach der Endlichkeit in den Wiederauferstehungskontext gehoben zu sehen. Ein Aspekt, der meine Arbeit insbesondere formal zu begleiten begann. Immer wieder blies ich meinen Hasen neues Leben ein, ich arbeitete weiter an ihnen oder ich zerstörte sie, baute aus demselben Holz einen neuen Hasen, eine andere Figur, eine neue hasenhafte Menschfigur.
Die Bezeichnung „Kampfhase“ brachte meine Idee für den Hasen als Motiv auf den Punkt. Der Name wurde für mich zum Bestandteil der Arbeit. Ich fand immer mehr Gefallen an der Auswahl meiner Titel. Sie flogen mir zu, beim Betrachten meiner Arbeit, oder eine Arbeit wurde inspiriert von einem Satz oder Wort. Da die Titel genauso assoziativ und fragmentarisch wie meine Holzkompositionen hinzugefügt wurden, entwickelten sie sich zu einem integralen Bestandteil meiner bildhauerischen Arbeit und waren mir Arbeitsmaterial. Zu meinem Abschluss an der Kunsthochschule schrieb ich ein ganzes Buch voller Titel und loser Sätze – ich fügte diese Poesien in den rein formalen Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit. So konnte ich sie als Diplomarbeit einreichen.
In der Folge ergab sich ein neuer Arbeits-Prozess: Text auf Papier, als Arbeitsmaterial für zu leimende Papierblöcke. Papier wird aus Holz hergestellt, und ich bringe es in seine alte Form zurück. Neben der metaphysischen Komponente die praktikable: Nun kann ich es wie Holz bearbeiten. Die Bedeutung des Textes ist für mich sekundär. Zwar benutze ich Texte, an denen ich persönliches Interesse habe. Aber ich zerstöre sie, entferne einzelne Fragmente, lege weiter unten liegende Schichten frei, löse Worte aus dem ursprünglichen Kontext, verbinde verschiedene Ebenen neu miteinander. Bei der Arbeit sehe ich in den Worten und Zeilen nichts anderes als die Ringe eines Baumes. Auch diese beinhalten eine Erzählung, von Zeit und z.B. klimatischen Einflüssen. Aber ich lese und verstehe sie nicht.
Klarheit zu schaffen oder Feststellungen zu machen sind nicht Antrieb meines künstlerischen Schaffens. Wenn in meinen Textblöcken Assoziationen, flüchtige, unvollständige Gedanken oder Behauptungen aufflackern, dann freue ich mich daran. Es ist meine Absicht: die Flüchtigkeit von Gedanken, die Fragilität eines Traumes, die Angst vor dem Vergessen eines Arguments sichtbar oder spürbar zu machen. In einer Bildhauerei.
Ich erkenne hier und da die Implikationen, die meine Arbeit ermöglichen. Aber ich stelle sie niemals an den Anfang meines Arbeitsprozesses. Ähnlich wie Beuys sehe ich die sinnliche Komponente im Kunstschaffen als äußerst bedeutend an. Ich sehe darin auch eine Möglichkeit, ähnlich der Absicht der Surrealisten, Gedankengebilde offenzulegen, die mir bewusst gar nicht zugänglich sind oder auf diese Weise Konventionen zu hinterfragen. Vordergründig betrachtet mache ich aber erstmal das: Ich exhumiere Fragmente, füge sie zu einer Form und gebe dieser einen Namen – immer wieder vorübergehend.